Ukraine rückt nach Abzugsankündigung Russlands in Region Cherson vor
Nach dem angekündigten russischen Truppenabzug aus dem südukrainischen Cherson rückt die Ukraine weiter vor.
In geräumten Gebieten wurden zwölf Ortschaften zurückerobert, wie der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, am Donnerstag im Nachrichtendienst Telegram mitteilte. Moskau erschwert der Ukraine den Vormarsch nach Einschätzung britischer Geheimdienste aber weiter – so hätten russische Truppen etwa Brücken zerstört und mutmasslich Minen gelegt.
Man erwarte zudem, dass sich der Rückzug über mehrere Tage hinziehe, hiess es im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Begleitet werde dieser voraussichtlich von Artilleriefeuer zum Schutz der abziehenden Einheiten.
Unter dem Druck der ukrainischen Gegenoffensive hatte Russland am Mittwoch den Abzug seines Militärs aus Cherson und der gesamten Region um die Stadt angeordnet. Moskau nannte den Abzug eine „militärische Notwendigkeit“ und „Umgruppierung der Kräfte“.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äusserte sich zur Situation in Cherson zunächst zurückhaltend: „Wir müssen jetzt sehen, wie sich die Lage vor Ort in den nächsten Tagen entwickelt“, sagte er am Rande von Gesprächen mit der neuen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni in Rom. Klar sei aber, dass Russland schwer unter Druck stehe. „Wenn sie Cherson verlassen, wäre das ein weiterer grosser Erfolg für die Ukraine.“
Russland hatte das Nachbarland Ukraine am 24. Februar überfallen. Seitdem mussten die russischen Truppen bereits mehrfach grössere militärische Niederlagen einstecken. Als eines der aus Kreml-Sicht grössten Debakel gilt der Rückzug aus dem ostukrainischen Gebiet Charkiw Mitte September.
Russland hatte das Gebiet Cherson in den ersten Kriegswochen weitgehend besetzt und im September – ebenso wie die Regionen Saporischschja, Luhansk und Donezk – annektiert. International wird die russische Einverleibung Chersons nicht anerkannt und als ein Bruch des Völkerrechts gewertet.
Mit Cherson gibt die russische Armee nun eine Fläche von etwa 4800 Quadratkilometern auf. Der Verlust der Region werde Russland wahrscheinlich sein strategisches Ziel verwehren, eine russische Landbrücke bis zur Hafenstadt Odessa aufzubauen, so die britischen Geheimdienste. Ukrainische Angriffe auf die Nachschubrouten der Russen hätten deren Position in Cherson unhaltbar gemacht.
Der britische Premier Rishi Sunak und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seien sich einig, dass man Vorsicht walten lassen müsse, bis über der Stadt Cherson tatsächlich wieder die ukrainische Flagge gehisst sei, hiess es nach einem Telefonat der beiden aus der Downing Street. Der Rückzug sei ein Zeichen der Schwäche der russischen Offensive und demonstriere den starken Fortschritt der ukrainischen Truppen.
(text:sda/bild:unsplash)