12 Juni 2023

Sechs Polizisten in Lausanne wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht

Sechs Lausanner Polizisten müssen sich ab Montag im Fall eines bei einer Festnahme verstorbenen mutmasslichen Drogendealers wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten. Ihnen drohen Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren. Die Verteidigung plädiert auf Freispruch.

Der sogenannte Fall „Mike“ hatte 2018 über die Westschweiz hinaus für Schlagzeilen gesorgt. Seit dem Todesfall fanden in den Strassen der waadtländischen Hauptstadt mehrere Demonstrationen statt, bei denen Rassismus und Polizeigewalt angeprangert wurden, zuletzt am 3. Juni mit über 400 Personen.

Der 40-jährige Nigerianer starb bei einer Aktion der Polizei gegen den Drogenhandel an einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Er widersetzte sich sich den Polizeibeamten, wurde überwältigt, mit Handschellen gefesselt und brach daraufhin zusammen. Er starb am nächsten Tag, nachdem er vor Ort notversorgt und anschliessend ins Universitätsspital Chuv in Lausanne gebracht worden war.

Aufgrund des Medienechos und der Anzahl der Angeklagten wird das Strafgericht des Bezirks Lausanne in den kantonalen Gerichtssaal in Renens verlegt. Die Ermittlungen der Waadtländer Staatsanwaltschaft dauerten fast fünf Jahre.

Der Staatsanwalt Laurent Maye geht von fahrlässiger Tötung aus. Dieser Straftatbestand werde mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet, heisst es in der Anklageschrift.

Die sechs Beamten der Lausanner Stadtpolizei werden auf Freispruch plädieren, wie Odile Pelet, eine der Anwältinnen, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf Anfrage sagte. Jeder Polizist wird von einem anderen Anwalt vertreten. Alle werden zahlreiche Punkte der Anklageschrift anfechten, darunter auch die Frage der „angeblich ausgeübten Thoraxkompression“ auf den Verstorbenen, erklärte sie.

„Die Polizei hat angemessen auf den heftigen Widerstand des Opfers reagiert“, zeigte sich Pelet überzeugt. Ausserdem seien die Gerichtsmediziner zum Schluss gekommen, dass die Bauchlage, in die Mike gebracht wurde, nicht zum Tod geführt haben könne, fügte sie hinzu.

Der Anwalt der Opferfamilie wird stattdessen versuchen, eine „offensichtliche“ unverhältnismässige Gewaltanwendung nachzuweisen. Für Rechtsanwalt Simon Ntah ist klar, dass das Opfer an einem Herz-Kreislauf-Stillstand infolge der von den Ordnungskräften ausgeübten Gewalt gestorben ist.

Seiner Ansicht nach entsprechen die von der Staatsanwaltschaft beschriebenen Tatsachen nicht einer fahrlässigen Tötung sondern einer vorsätzlichen Tötung durch Eventualvorsatz. Im Klartext bedeutet dies, dass das Verhalten der Polizisten einen tödlichen Ausgang für das Opfer möglich machte, dass sie sich des Risikos bewusst waren und dass sie es in Kauf nahmen.

(text:sda/bild:sda)