6 März 2022

Neue Ausstellung im Kunsthaus Interlaken

Er ist zurück. Nein, nicht Harold Studer ist zurück, sondern sein Werk, seine Bilder, seine werkenden Figuren, seine sorgsam geordneten Sammlungen und die vielen vielsagenden Skizzen.
Harold Studer, den wir Harry nannten, nennen durften, ist selbst nicht zurück. Am 16. November 2000 ist er gegangen, etwas mehr als 58 Jahre alt. Zu früh, haben wir gesagt und geschrieben. Und wir sprachen, als gälte unser Trauern ihm. Aber heute, vor den Bildgeschichten, die er für uns gezeichnet, gemalt und gedruckt und hiergelassen hat, erkennen wir, dass nicht Harry zu bedauern war bei seinem Abschied an der Jahrtausendwende, sondern wir. Sein Tod zwang uns zu einem ganz persönlichen Adieu von einem Menschen, der möglicherweise einen Weg gefunden hätte in einer Welt, die ihren Halt zu verlieren drohte und immer noch droht. Die Ausstellung von Werken Harold Studers birgt eine besondere Präsenz, eine fordernde und gleichzeitig schenkende und bewegende. Er liess uns ein lebendiges Schaffen. Sind es Spuren des Pfadfinders oder Signale eines Wegweisers? Oder muss Harry als Seher und Archäologe in einem bezeichnet werden oder ganz einfach als Handwerker, als Kunsthandwerker höchster Qualität? Auch heute noch ist in ihm, in seinen Bildern einer beim Bau einer eigenen Welt zu entdecken. In uns, seinen Freunden und seinem Publikum hat er wohl schon damals, als er noch da war, Entdecker gesehen und uns mit seinen Bildern als solche angesprochen und, wohl schon sein frühes Sterben ahnend, noch ausgesandt und zur Deutung aufgefordert. Denn die meisten Gemälde sind ohne Titel, wortlose Begegnungen in stillen erfundenen Welten.

Harold Studer war ein Schaffender. Seine Bilder sind von einer makellosen Klarheit. Als meisterlich ist seine Technik aus vielen Techniken mit persönlichen Abarten zu bezeichnen. Wenn heute eine Kunst des Augenblicks und damit einer integrierten Vergänglichkeit aktuell ist, so gehörte es noch zu Harold Studers Künstlerplan, etwas Gültiges, Dauerndes, der Endlichkeit sich Entziehendes anzustreben und zu hinterlassen.
Es kam bei meinen Begegnungen mit Kunstschaffenden immer wieder vor, dass sie klagten, sie wüssten keine Bleibe für ihr Werk. Dass sei ihr Schmerz, ihre stets öfter Überhand nehmende Schwermut.
Auch Harald Studer malte und zeichnete gegen die Zeit. Oder vielleicht mit ihr und in ihr, so dass seine Bilder heute noch zurückkehren können. Und sie kommen nicht allein, sondern in jener Umgebung, ja Welt, die ihnen Harold Studer zugewiesen, geschenkt, geplant und gebaut hat: Welten, in denen Natur und Fantasie eins werden, Welten voller Begegnungen, Erfahrungen und Geschichten. Von Exkursionen müsste man sprechen, von Verwandlungen, die tief in uns hineinführen, uns klein werden lassen, um das Grosse, das Notwendige, unsere Aufgabe wahrzunehmen. Harold Studer ging an uns vorbei, ohne uns zu kennen, wenn er an einem Werk arbeitete. Er lebte dann schon in seinem erdachten Land mit den erdachten Menschen oder in seinen Erforschungen der Insekten Staaten, wo alle gleich zu sein schienen und Beobachter noch heute zur Lupe zwingen.
Sein Schaffen ist zurück. Es ist nicht als erhabene, bloss bewundernswerte Kunst in unserer Gegenwart, sondern als etwas ganz Nahes. Ein Auftrag zum rettenden Tun in der heutigen Welt, in ihrer durch uns, die Menschen bedrohten Natur ist darin zu finden. Wenn es gilt, sie zu erkennen, sendet Harry in seinen grossen und kleinen, meist grünen Arbeiten immer noch Fachleute aus: den Schreiner als winziges Figürchen in die Blätter, den Zimmermann auf dem Baumgerüst und wieder andere Geflechte aller Art nähend. Meister ihrer Kunst sind sie alle, diese Plantoidenfahrer, diese Elfenbotschafter, selbst wenn sie einmal ruhen.
Retten sie oder ernten sie? Errichten sie Geheimnisvolles oder kämpfen sie gegen eine drohende Vernichtung? Und immer wieder fragt man sich schauend: Gibt es hinter diesen Zauberwelten eine Musik, ein Lied in diesem Künstlerbiotop, ein Lied aus stets grünen Tönen? Diesem Grün gehört offenbar für Harry das Leben. Es könnte jedoch auch des Seins sanftes Verklingen sein, mit Sicherheit aber eine Verletzlichkeit, die von uns Betrachtenden eine Reaktion fordert.
Wir müssen in Harold Studers Bildern die Schlüsselfabel suchen und mit ihr die Pforte zu seiner eigenen Art von Eden öffnen.
Eden? Es könnte auch die Erde sein, nein, Erden, viele Erden, wo manches keimt, zu wachsen beginnt, sich entfaltet. Fruchtbares im Klima von damals, diesem Berner Kunst- und Kultur-Biotop. Schön, dass Begegnungen ermöglicht werden und dass sich nach vielen Jahren Werke verschiedener Kunstschaffender wieder treffen dürfen. Nicht zu einem Spiel oder einem Wettbewerb, sondern in jener kreativen Toleranz, die uns so Not tut.
Zu Begegnungen der besonderen Art finden sich in Interlaken Werke aus den Siebziger- bis Neunzigerjahren von:
Marie Bärtschi, Urs Dickerhof, Daniel de Quervain, Reini Rühlin, Claude Sandoz, Max André Schärlig, Fernand Schmutz, Urs Stooss und Peter von Wattenwyl.

(text:pd/bild:)