15 Oktober 2021

Lauterbrunnen: Kulturlandschaftspreis gegen Verbuschung

Die Region Oberland-Ost verfügt über eine reiche Vielfalt an Kulturlandschaften, die mit grossem Aufwand gepflegt werden. Zum 17. Mal würdigen die Regionalkonferenz Oberland-Ost und die regionalen Tourismusorganisationen die grosse Leistung der Landwirte mit dem Kulturlandschaftspreis. Dieser wurde auf dem Hasliberg übergeben.

Einheimische und Besucher schätzen die einmalige Landschaft im östlichen Berner Oberland. Sie sind sich dabei selten bewusst, dass sie sich meist nicht in unberührter Natur, sondern in Kulturlandschaften bewegen, die unter schwierigen Bedingungen bewirtschaftet werden. «Die reiche Vielfalt solcher Kulturlandschaften in unserer Region verdanken wir Generationen von hart arbeitenden Landwirtinnen und Älplern», sagte Peter Aeschimann, Präsident der Regionalkonferenz Oberland-Ost, an der heutigen Verleihung des Kulturlandschaftspreises.
Die landschaftliche Qualität sei für den Tourismus im Berggebiet fundamental, erklärte zudem Marc Unger von der Jungfrau Region Tourismus AG, das hätten gerade die beiden letzten, speziellen Sommersaisons gezeigt. Gemeinsam anerkennen die Regionalkonferenz Oberland-Ost, die Tourismusorganisation Interlaken und Jungfrau Region Tourismus die grosse Leistung der Bergbauern zugunsten der attraktiven und vielfältigen Landschaft, indem sie seit 2005 jährlich den Kulturlandschaftspreis verleihen. Die Gewinner erhalten nebst einem Zertifikat je einen Barbetrag von 2500 Franken, eine beschnitzte Sense und eine Tafel, welche die Besucher auf die wertvolle Kulturlandschaft aufmerksam macht. Der Preis soll die Wertschätzung ausdrücken und die Öffentlichkeit sensibilisieren, wie wichtig die Arbeit der Landwirte für den Erhalt unserer schönen Landschaften ist.

Die Fachbereichsleiterin Landschaft der Regionalkonferenz Oberland-Ost, Claudia Schatzmann, präsentierte an der Preisübergabe die ökologischen und ästhetischen Qualitäten der ausgezeichneten Kulturlandschaften. Sie betonte gleichzeitig, wie wichtig es sei, dass solche artenreichen Wiesen und Weiden weiterhin sorgfältig bewirtschaftet und damit erhalten würden.
Kulturlandschaft unter Druck
Das attraktive Erscheinungsbild und eine hohe Artenvielfalt in der Kulturlandschaft sind ein wertvolles «Nebenprodukt» der kleinräumigen und sorgfältigen land- und forstwirtschaftlichen Nutzung. Die artenreichen Blumenwiesen und Weiden müssen regelmässig gemäht oder beweidet werden, damit sie nicht mit Gebüsch und schliesslich Wald überwachsen werden. Auf steilen,
abgelegenen Flächen im Berggebiet ist dies nach wie vor mit viel Handarbeit verbunden und damit sehr aufwändig, also kaum noch lohnend. Zudem sind immer weniger Personen in der Landwirtschaft tätig und die Bauern mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Durch die Klimaerwärmung steigt die Waldgrenze an und einige Büsche und Bäume wachsen schneller und besser, so dass für das Zurückdrängen noch mehr Arbeit anfällt. Auf den ökologisch bewirtschafteten Flächen kommen invasive Neophyten auf, die von der späten Mahd profitieren. Solche Pflanzen müssen einzeln ausgerissen werden – ein beinahe unmögliches Unterfangen für den einzelnen Landwirt. Deshalb erhalten die Bauern für die Bewirtschaftung artenreicher Wiesen Direktzahlungen vom Bund. Auch die Regionalkonferenz hilft mit Beiträgen aus dem regionseigenen Landschaftsfonds, wenn eine schon stark eingewachsene Fläche instand gestellt werden soll, damit sie wieder genutzt werden kann. Diese Unterstützung basiert auf den Zielen des regionalen Landschaftsentwicklungskonzeptes, dass Waldflächen sich nicht auf erhaltenswerte Land- und Alpwirtschaftsflächen ausdehnen sollen.

Binzerwald, Hofstetten
In der Kategorie «landwirtschaftliche Nutzflächen» geht der Kulturlandschaftspreis 2021 an das Gebiet Binzerwald in Hofstetten. Es umfasst 11 ha und liegt auf rund 1000 bis 1250 m an einer steilen Flanke unter dem Wilerhorn zwischen Eistlenbach und Farnigraben. Grosse Teile des Wies- und Weidelandes weisen hohe ökologische Qualität mit vielen Arten auf und stehen teilweise unter Naturschutzvertrag. Das Wiesland ist umrahmt von Naturinventar-Wald und mit Einzelbäumen sowie artenreichen Baumgruppen durchsetzt. Es gibt keine Zufahrt; das Gebiet ist zwar mit einer Transportbahn erschlossen, aber man kann es nur zu Fuss erreichen, was die Bewirtschaftung entsprechend schwierig macht. Belohnt wird man mit einer grossartigen Aussicht von Interlaken über den Brienzersee und vom Faulhorn über die Oltschiburg und den Talboden der Hasliaare bis zu den Engelhörnern. Das Gebiet Binzerwald wird von der Familie Andreas Blatter, Hofstetten, bewirtschaftet.

Alp Moosbielen, Hasliberg
In der Kategorie «Sömmerungsgebiete» wird die unter dem «Alpentower» liegende Alp Moosbielen mit dem diesjährigen Kulturlandschaftspreis ausgezeichnet. Die Alp mit ihren rund 260 ha liegt langezogen auf 1600 bis 2000 m an der steilen Rückseite von Planplatten. Bestossen wird sie mit je 40 Milchkühen und 40 Mutterkühen sowie mit Jungvieh und 30 Ziegen. Es gibt sowohl Trockenstandorte wie auch Feuchtgebiete, womit die Vegetation sehr artenreich und von hoher ökologischer Qualität ist. Die Alp kann mit entsprechenden Fahrzeugen bis zum Stafel Schlafenbielen erreicht werden, danach geht es aber nur noch zu Fuss weiter. Zudem sind grosse Partien sehr steil. Jeden Sommer müssen die vom Schnee mitgeführten Steine zu Haufen zusammengetragen werden; darin finden verschiedene Reptilien Unterschlupf. Die Alp ist mit einem Wanderweg erschlossen, liegt aber abseits der grossen Touristenströme und bietet deshalb Abgeschiedenheit und Ruhe. Besucherinnen und Besucher geniessen eine eindrückliche Rundsicht vom Brienzersee über das Wetterhorn, das Urbachtal, das Grimsel- und Sustengebiet bis ins Gental und hin zum Jochpass. Bewirtschaftet wird die Alp von der Alpgenossenschaft Moosbielen, Hasliberg.

Alp Sous, Lauterbrunnen
Die Jury verlieh einen Spezialpreis an die Alp Sous. Diese liegt unter dem Schilthorn in einem Hochtal zwischen rund 1500 und 2500 m, durch das sich der Sousbach malerisch schlängelt. Mit 690 ha Fläche handelt es sich um eine sehr grosse Alp, die mit insgesamt rund 200 Milchkühen, Rindern und Mutterkühen bestossen wird. Auch Alpschweine, Hühner, Gänse und Bienen werden gehalten; etwa 100 Schafe weiden unter dem Espaltenhorn. Schon durch die schiere Grösse ist die Biodiversität auf der Alp sehr hoch – man findet vom Türkenbund bis zum Männertreu die ganze Palette typischer und seltener Pflanzen. Die Alp ist nur im unteren Teil mit Fahrzeugen erreichbar; der Stafel Oberberg und weite Teile des übrigen Gebiets sind nur zu Fuss erreichbar. So führen hier viele Wanderwege abseits der Touristenströme z. B. nach Mürren, zur Lobhornhütte oder ins Kiental. Dazu geniesst man eine einmalige Aussicht vom Schilthorn und Espaltenhorn über die Lobhörner und talauswärts bis zur Schynige Platte.
Bis auf etwa 1800 m unterliegt die Alp einem sehr starken Verbuschungsdruck, insbesondere durch Grünerlen. Deshalb hat die Bergschaft in einer nicht mehr landwirtschaftlich genutzten Alphütte die Käserei und den Stall saniert und eine Ziegenalp eingerichtet. Etwa 110 Ziegen dämmen nun die Verbuschung ein, geben Milch für feinen Ziegenkäse und bieten Arbeit für zwei Personen. Der nötige Herdenschutz auf der Alp wird unterstützt durch die Organisation CHWolf. Bewirtschaftet wird die Alp von der Bergschaft Sous, Lauterbrunnen.

(text:pd/bild:unsplash)