22 Februar 2023

Kaum Unterstützung für Erdbebenopfer im Nordwesten Syriens

Auch mehr als zwei Wochen nach dem verheerenden Erdbeben mit zehntausenden Toten erhalten die Opfer im Nordwesten Syriens kaum Hilfe. Grund sind logistische und politische Hindernisse in dem Land, in dem seit zwölf Jahren Bürgerkrieg herrscht. Dabei werden Hilfsgüter im Nordwesten besonders dringend gebraucht, weil von den über vier Millionen Einwohnern der Region schon vor der Naturkatastrophe 90 Prozent auf Unterstützung angewiesen waren.

Während die von der Regierung kontrollierten Erdbebengebiete von Damaskus aus gut versorgt werden, gelangt die Hilfe in die von Rebellen beherrschten Landesteile im Nordwesten nur über die türkisch-syrische Grenze. Der Übergang Bab al-Hawa war zum Zeitpunkt des Bebens der einzige, den die Vereinten Nationen ohne Genehmigung der syrischen Regierung nutzen konnten.

Die Zufahrt zu dem Grenzposten wurde jedoch durch das Beben beschädigt und auch das Transportpersonal war von der Katastrophe betroffen, so dass der erste Uno-Konvoi erst drei Tage später passieren konnte. Eine Woche nach dem Erdbeben erlaubte Damaskus der Uno zwei weitere Grenzübergänge – Bab al-Salama und Al Rai – für drei Monate ebenfalls zu nutzen.

Fast 200 Lastwagen mit Hilfsgütern seien seit dem Beben in den Nordwesten Syriens geschickt worden, teilten die Vereinten Nationen mit. Am Montag passierten zehn LKW erstmals den Übergang Al Rai. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es laut der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen durchschnittlich 145 Lastwagen pro Woche.

Die Hilfsorganisationen vor Ort kritisieren die schleppenden Lieferungen. Die Uno habe „ein Verbrechen gegen das syrische Volk“ begangen, erklärte die syrische Organisation Weisshelme. Der Uno-Nothilfekoordinator Martin Griffiths räumte ein, die Vereinten Nationen hätten „die Menschen im Nordwesten Syriens im Stich gelassen“.

Im Gegensatz zur Uno können Nichtregierungsorganisationen Hilfsgüter mit Genehmigung der Türkei auch über andere Grenzübergänge schicken. Am Sonntag passierten 14 Lastwagen von Ärzte ohne Grenzen den Kontrollpunkt Al Hammam auf den Weg in den Nordwesten Syriens.

Viele internationale Organisationen stellen den Helfern im Nordwesten Syriens auch Geld zur Verfügung, damit diese das Benötigte vor Ort einkaufen. Da jedoch Millionen Menschen seit dem Beben obdachlos sind, wurden Decken, Zelte und Lebensmittel knapp und die Preise schossen in die Höhe, wie die Organisation Action Aid mitteilte.

Die islamistische Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) beherrscht mehr als die Hälfte der Provinz Idlib, der letzten grossen Rebellenhochburg in Syrien, in der viele Vertrieben aus anderen Landesteilen leben. HTS kontrolliert den Grenzübergang Bab al-Hawa und wird von den USA als Terrororganisation eingestuft.

Rund 30 pro-türkische syrische Gruppierungen teilen sich die Kontrolle über das weiter östlich gelegene Grenzgebiet, das sich von Dscharablus bis Afrin erstreckt. Etwa 1,1 Millionen Menschen leben dort und leiden unter den Übergriffen, die diesen Gruppen vorgeworfen werden, wie willkürliche Verhaftungen.

Viele Hilfsorganisationen misstrauen der Zusage der syrischen Behörden, Hilfsgüter in Rebellengebiete zu schicken, und möchten auch nicht auf das Wohlwollen der Regierung angewiesen sein. Der Anführer von HTS, Abu Mohammed al-Dscholani, lehnte Hilfe aus dem Regierungsgebiet ab. Die pro-türkischen Fraktionen ihrerseits wiesen einen Hilfskonvoi der kurdischen Autonomieverwaltung ab.

(text:sda/bild:sda)