9 März 2023

Georgier verhindern „russisches Gesetz“ mit tagelangen Massendemos

Tagelang sind die Menschen in der georgischen Hauptstadt Tbilisi zu Tausenden auf die Strassen geströmt. Der Grund ihres Unmuts: Ein Gesetzentwurf, der eine Einstufung unabhängiger Medien und Organisationen als „ausländische Agenten“ ermöglichen sollte. Barrikaden brannten, Mülltonnen sowieso, zwischendrin sogar Polizeiautos. Immer wieder gingen die Beamten mit Gewalt vor, setzten Wasserwerfer ein und versprühten Tränengas. Schliesslich aber war der Erfolg auf Seiten der Demonstranten. Am Donnerstag gab die Regierungspartei bekannt: Das geplante Gesetz wird zurückgezogen.

Gegen die Regelung hatten in der kleinen Ex-Sowjetrepublik im Südkaukasus vor allem viele junge Menschen protestiert. Es waren diejenigen, die Richtung Europa wollen und weg von Russland – und Angst haben, ihr Land könnte mit dem neuen Gesetz den entgegengesetzten Kurs einschlagen. Selbst Georgiens Präsidentin Salome Surabischwili stellte sich öffentlich auf die Seite der Demonstranten – und damit gegen die eigene Regierung.

In Russland nämlich ist das international viel kritisierte Gesetz über „ausländische Agenten“ schon längst zu einem Sinnbild für die Repression gegen politische Gegner und Andersdenkende geworden. Nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind zahlreiche unabhängige Medien, Menschenrechtsorganisationen, aber auch Privatpersonen mit dem Titel gebrandmarkt.

Nun hatten auch Bürgerrechtler in Georgien Angst, ihre Heimat könnte sich – mehr als 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion – wieder stärker in Richtung Russland orientieren und einen autoritären Pfad einschlagen. Die Aktivisten fürchteten um die lang ersehnte europäische Perspektive ihres Landes. Georgien ist offiziell noch kein EU-Beitrittskandidat, soll in den Augen vieler Georgier aber möglichst bald einer werden.

„Wir sehen, dass der Gesetzentwurf zu Meinungsverschiedenheiten in der Gesellschaft geführt hat“, erklärte die Regierungspartei Georgischer Traum als Reaktion auf die Proteste. Die Partei gilt als relativ russlandfreundlich und hat mit 84 von insgesamt 150 Sitzen eine deutliche Mehrheit im Parlament. „In Anbetracht all dessen haben wir (…) beschlossen, die von uns unterstützte Gesetzesvorlage ohne Vorbehalte zurückzuziehen.“

Zugleich wehrte sich die Partei gegen „das falsche Etikett des russischen Gesetzes“. Irgendwann wolle man der Öffentlichkeit besser erklären, wozu das Gesetz wirklich gedacht gewesen sei, hiess es – „wenn der emotionale Hintergrund nachlässt“. In Moskau reagierte der Kreml – und beteuerte, der Entwurf sei keinesfalls von Russland inspiriert gewesen. „Der Kreml hat absolut nichts damit zu tun“, sagte Sprecher Dmitri Peskow.

Georgien mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern steht auch Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion unter dem Einfluss seines grossen Nachbarn. So führte Russland im Jahr 2008 Krieg gegen das kleine Land am Schwarzen Meer. Und bis heute unterstützt Moskau ausserdem die abgespaltenen georgischen Gebiete Südossetien und Abchasien und hat in der Region eigene Truppen stationiert.

Die EU-Vertretung in Tbilisi begrüsste die angekündigte Zurückziehung des Gesetzes. Man ermutige die politische Führung Georgiens, „pro-europäische Reformen auf inklusive und konstruktive Weise“ zu erreichen, hiess es in einem Tweet.

„Der unerschütterliche Kampf der georgischen Öffentlichkeit gegen die Übernahme des russischen Gesetzes und die Abweichung vom europäischen Weg hat zu ersten positiven Ergebnissen geführt“, teilten mehrere georgische Zivilgesellschafts-Organisationen in einem gemeinsamen Brief mit. Ungeachtet dessen kündigte die Opposition noch für Donnerstagabend erneute Proteste an.

Konkret forderte sie die Regierung auf, unverzüglich eine Plenarsitzung einzuberufen, bei der das in erster Lesung bereits angenommene Gesetz auch offiziell begraben werde. Ausserdem müssten die mehr als 130 festgenommenen Demonstranten wieder freigelassen werden. Vor allem junge Menschen vertrauten der Regierung nicht mehr ohne Weiteres, sagte der Oppositionspolitiker Zotne Koberidse.

Wie bereits in den Vortagen dürften bei den neuen Demos neben den weiss-roten georgischen Fahnen auch wieder einige blau-gelbe ukrainische geschwenkt werden. Denn bei allen eigenen Problemen ist in Georgien, das im Jahr 2008 einen Krieg gegen Russland erlebte, auch die Solidarität mit der angegriffenen Ukraine weiter gross.

(text:sda/bild:keystone)