30 Oktober 2021

Frauensession verlangt Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht

Am zweiten Tag der Frauensession im Bundeshaus haben die Teilnehmerinnen ihre Forderungen zum Thema Gewalt gegen Frauen formuliert. Sie verlangen, dass das Konsensprinzip im Strafrecht verankert wird, um Frauen bei Vergewaltigungen besser zu schützen.

Die explizite Zustimmung zum Geschlechtsverkehr solle im Gesetz verankert werden. Dies fordern die Teilnehmerinnen der Frauensession. Sie haben am Samstag im Bundeshaus in Bern fast einstimmig eine entsprechende Motion angenommen.

Wer ein Nein des Gegenübers oder nonverbale Zeichen übergeht, macht sich nach heutigem Recht nicht zwingend einer Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung schuldig.

„Wir hoffen auf grosse Unterstützung, dass wir ein Zeichen setzen und uns hinter die Betroffenen von sexualisierter Gewalt stellen“, sagte Noemi Grütter für die Kommission. Frauen, die vergewaltigt werden, würden oft in eine Schockstarre (Freezing) fallen und sich nicht wehren können. Dies sei wissenschaftlich belegt. „Diese Fälle werden durch das Strafrecht heute nicht abgedeckt.“

In der Schweiz erlebe jede zehnte Frau sexuelle Handlungen gegen ihren Willen. „Das ist die ganze Stadt Zürich.“ So viele Frauen würden Übergriffe erleben. „Es wird Zeit, dass wir anerkennen, dass Sex ohne Zustimmung eine Vergewaltigung ist.“ Für straffreie sexuelle Handlungen soll ein Ja vorausgesetzt werden.

Der Bundesrat wird darüber hinaus mit einer Motion aufgefordert, schweizweit eine einheitliche Herangehensweise bei der Beweissicherung sicherzustellen. Im Kanton Bern wird nach dem sogenannten „Berner-Modell“ seit 1986 die ärztliche Beweissicherung bei sexualisierter Gewalt durch speziell ausgebildete Beamtinnen und Beamte durchgeführt, ohne dass die Polizei eingeschaltet wird.

Weiter verlangen die Frauen vom Bundesrat, dass der Vergewaltigungstatbestand geschlechtsneutral formuliert wird. Heute kann zum Beispiel niemand wegen Vergewaltigung verurteilt werden, wenn das Opfer ein Mann ist.

Die Bedeutung und Stellung von Frauen in der Freiwilligenarbeit war ein weiteres Traktandum am Samstagvormittag. „Es ist ein Skandal, dass Frauen viel weniger verdienen als Männer“, sagte Nadine Jürgensen, Teilnehmerin der Frauensession. Dies habe auch damit zu tun, dass Frauen viel mehr unbezahlte Arbeit leisten würden als Männer.

„Heute ist der Tag der Pflegenden und der betreuenden Angehörigen – diese Arbeit hat einen jährlichen Wert von 248 Milliarden Franken.“ Diese unbezahlte Freiwilligenarbeit führe auch zu Armut im Alter. „Altersarmut in der Schweiz ist weiblich“, erklärte sie, „gerade weil Frauen viel unbezahlte Arbeit leisten“.

„Es wird weibliche Themen geben, solange die Gleichstellung nicht erreicht ist“, sagte Brigitte Häberli-Koller, Thurgauer Mitte-Ständerätin und Vizepräsidentin des Ständerats, bei ihrer Ansprache am Vormittag.

„Vor 1988 durften Frauen ohne die Zustimmung des Mannes kein Bankkonto eröffnen“, es seien Fortschritte erzielt worden, „aber die Liste der Ungleichheiten ist noch nicht vollständig abgearbeitet“, erklärte sie. So sei die Lohngleichheit noch nicht Realität.

Häberli-Koller rief die Frauen auf, ihr Engagement nach dem Ende der Frauensession weiterzuführen: „Kandidieren Sie für einen Sitz im Ständerat, im Nationalrat, im Kantonsrat und im Gemeinderat. In der Politik geht es um Mitbestimmung. Dies können Sie nur, wenn sie sich engagieren.“

Weiter auf der Traktandenliste stehen am Samstag Forderungen zur Stellung der Frau in der Forschung, an den Hochschulen, in der Landwirtschaft und der Mutterschaft. Die Frauensession geht am Nachmittag mit den Schlussabstimmungen zu Ende.

(text:sda/bild:sda)