21 April 2022

Bund teilt Geflüchtete grundsätzlich wieder nach Schlüssel zu

Geflüchtete aus der Ukraine, die in der Schweiz Schutz suchen, werden künftig vom Bund grundsätzlich nach dem Verteilschüssel den Kantonen zugewiesen. Das kann zu Enttäuschungen führen. Ausnahmen gibt es für nahe Verwandte und verletzliche Menschen.

Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden 38’339 Personen registriert. 31’413 Flüchtlinge haben den Schutzstatus S erhalten. Im Vergleich zum Vortag stieg die Zahl der Personen mit S-Status um 862. Die Bundesstellen hätten die Registrierung und Zuteilung der Geflüchteten im Griff, sagte David Keller, Leiter Krisenstab Asyl im SEM, am Donnerstag in Bern vor den Medien.

Probleme macht aber die Zuteilung auf die Kantone. Einige hätten 50 oder gar 100 Prozent mehr Menschen aufgenommen als sie auf Grund des Proporzes – entsprechend der Einwohnerzahl – aufnehmen müssten, sagte Keller. Auch einige Städte und Gemeinden seien stark belastet. Zahlen zur Belastung der Kantone hat das SEM noch nicht.

Zu den belasteten Kantonen gehört laut Keller Bern. In der Stadt Bern und umliegenden Gemeinden erhalten zurzeit rund 900 ukrainische Kriegsflüchtlinge Sozialhilfe. Täglich kommen neue Dossiers hinzu, wie die Stadtberner Behörden am Donnerstag mitteilten.

Von 23. März bis 20. April wurden dort 237’200 Franken in bar an selbstständig oder bei Gastfamilien lebende Personen ausgezahlt. Die meisten der Geflüchteten verfügten über kein Bankkonto, weshalb Bargeld als Soforthilfe dringend nötig sei, hiess es dazu.

Ab Montag will der Bund Geflüchtete grundsätzlich wieder nach dem Verteilschlüssel – entsprechend der Bevölkerung – auf die Kantone verteilen. Prioritär müssen die Menschen in Kantone ziehen, die bisher anteilsmässig weniger Geflüchtete aufgenommen haben.

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe, die in den Bundesasylzentren Ukrainer in Gastfamilien vermittelt, wird sich ab Montag am Verteilschlüssel orientieren. In Ausnahmefällen werden Zuteilungswünsche aber weiterhin berücksichtigt.

Das gilt zum Beispiel für Menschen, die bei oder in der Nähe von Eltern, Grosseltern oder Kindern in der Schweiz wohnen wollen oder für Kernfamilien, die zusammen in die Schweiz gereist sind. Ausnahmen gelten auch für unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, Schwerkranke und sehr alte Menschen.

Sie sollen laut Keller mit ihren Gruppen zusammenbleiben oder auf Wunsch in der Nähe von Angehörigen wohnen können. „Für alle anderen ist es grundsätzlich zumutbar, nicht nach ihren Wünschen zugeteilt zu werden.“ Keller meinte damit beispielsweise Geschwister, Onkel oder Tanten oder auch Bekannte.

Auf Zuteilungswünsche von entfernten Verwandten oder Bekannten wird eingegangen, wenn dies nicht zu neuen Ungleichheiten führt. Will jemand privat in einem bestimmten Kanton unterkommen, müssen die Gastgeber gegenüber dem SEM schriftlich bestätigen, dass sie die Geflüchteten mindestens drei Monate bei sich aufnehmen.

Die Kantone zeigten sich erfreut über die neuen Regeln. Der Verteilschlüssel habe sich bewährt, sagte Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK), an der Medienkonferenz. Er bringe Erleichterung für viele Städte, die bereits geklagt hätten.

Stark belastete Kantone könnten eine überproportionale Zahl von Geflüchteten nicht auf Dauer hinnehmen, rechtfertigte Szöllösy die Neuerung. Es müssten Kinder eingeschult, Sozialhilfe und vieles mehr geleistet werden. An Orten mit vielen Geflüchteten bestehe das Risiko, dass Zivilschutzanlagen genutzt werden müssten.

Kantone und Gemeinden rechnen mit einer stark steigenden Nachfrage nach Integrationsangeboten. Da könne es zu Wartezeiten und auch zu Enttäuschungen kommen, sagte Nina Gilgen, Co-Präsidentin der Konferenz der kantonalen, kommunalen und regionalen Integrationsdelegierten (KID).

Die notwendigen Integrationsprogramme stünden grundsätzlich bereit. In einem ersten Schritt sei das Erlernen einer Landessprache zentral. Die Erfahrung zeigte laut Gilgen, dass Geflüchtete nicht nur bei der Orientierung im Alltag und beim Spracherwerb, sondern auch bei der Jobsuche Unterstützung benötigen.

Viele Geflüchtete wollten im angestammten Beruf bleiben. Doch es gebe Hürden, etwa die Anerkennung von Diplomen oder Anforderungen, die der Arbeitsmarkt stelle. Hier werde es auch um „Erwartungsmanagement“ gehen.

(text:sda/bild:unsplash-symbolbild)