Britisches Parlament billigt Pakt für Abschiebungen nach Ruanda
Ungeachtet scharfer Kritik treibt der britische Premierminister Rishi Sunak seine Pläne für einen Asylpakt mit Ruanda voran. Nach wochenlanger Debatte verabschiedete das Parlament in London in der Nacht zum Dienstag ein umstrittenes Gesetz, mit dem das ostafrikanische Land zum sicheren Drittstaat erklärt wird. Damit sind Abschiebungen von Asylsuchenden, die ohne gültige Papiere ins Vereinigte Königreich kommen, ohne Rücksicht auf ihre Herkunft nach Ruanda künftig möglich.
Das Oberste Gericht in London hatte das Vorhaben noch vor wenigen Monaten für rechtswidrig erklärt. Das neue Gesetz soll dieses Urteil aushebeln.
Die Flüge sollen in zehn bis zwölf Wochen starten, sagte Sunak zuletzt. König Charles III. muss das Gesetz noch in Kraft setzen.
Der zuständige Staatssekretär für „illegale Migration“, Michael Tomlinson, bestätigte am Dienstag in der BBC, dass auch Opfer von Folter oder Menschenhandel nach Ruanda ausgeflogen werden könnten. Bei dem afrikanischen Staat, dem Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, handele es sich um ein sicheres Land, sagte Tomlinson. Die Migranten sollen dort Asyl beantragen. Eine Rückkehr nach Grossbritannien ist ihnen untersagt. Menschenrechtsexperten betonen, es gebe keine legalen Routen nach Grossbritannien für Migranten.
Scharfe Kritik von UNHCR und Europarat
Die Spitzen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und des UN-Menschenrechtsbüros riefen Grossbritannien auf, das neue Gesetz zu überdenken und stattdessen praktische Massnahmen zur Bekämpfung irregulärer Flüchtlingsströme zu ergreifen. Die Gesetzgebung breche mit der langen Tradition des Vereinigten Königreichs, Bedürftigen Zuflucht zu gewähren. Zudem verstosse sie gegen die Flüchtlingskonvention, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats, Michael O’Flaherty, sagte in Strassburg, das neue Gesetz werfe wichtige Fragen zu den Menschenrechten von Asylbewerbern und der Rechtsstaatlichkeit im Allgemeinen auf.
Der zum Europarat gehörende Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGRMR) hatte 2022 in letzter Minute Grossbritannien daran gehindert, Asylsuchende per Flieger nach Ruanda zu schicken. Premier Sunak kündigte an, einstweilige Verfügungen des EGMR künftig zu ignorieren. „Kein ausländisches Gericht wird uns daran hindern, die Flüge zu starten“, sagte er am Montag. Zugleich betonte er, der Asylpakt stehe nicht im Konflikt mit internationalem Recht.
London sieht sich im Recht
Die konservative britische Regierung betont, ihr Vorhaben trage dazu bei, Migrantinnen und Migranten zu schützen. Gefährdete Menschen würden von der Fahrt in Schlauchbooten über den Ärmelkanal abgeschreckt und das Geschäftsmodell von Schleusern zerstört, sagte Sunak. Innenminister James Cleverly betonte mit Blick auf französische Berichte über ein neues tödliches Unglück im Ärmelkanal, London tue alles, damit niemand mehr sein Leben aufs Spiel setzen müsse. Experten bezweifeln aber, dass das Vorhaben Migranten von der Überfahrt abhalten wird.
Sunak sprach von einem „bahnbrechenden Gesetz“. Nun gehe es darum, die Abschiebeflüge nach Ruanda auf den Weg zu bringen.
Kritisiert wird in Grossbritannien auch, dass Hunderte Millionen Pfund britische Steuergelder an Ruanda gezahlt werden, aber vermutlich nur ein Bruchteil der infrage kommenden Asylsuchenden abgeschoben wird.
Sunak hat versprochen, die Migration einzudämmen und will mit dem harten Vorgehen auch den deutlichen Rückstand seiner Konservativen in den Umfragen vor der Parlamentswahl in diesem Jahr verringern. Allerdings deutet bisher wenig darauf hin, dass Sunak eine Trendwende gelingt.
Ruanda: 130 000 Flüchtlingen wurde bereits Sicherheit geboten
Die Regierung in Ruanda begrüsste die Einigung im britischen Parlament. „Wir haben uns einer Migrations- und Entwicklungspartnerschaft mit Grossbritannien verpflichtet und freuen uns darauf, die Menschen, die nach Ruanda umgesiedelt werden, willkommen zu heissen“, sagte Regierungssprecherin Yolande Makolo der Deutschen Presse-Agentur in Kigali.
In den vergangenen 30 Jahren – seit dem Genozid 1994, bei dem innerhalb von nur 100 Tagen Hutu-Milizen mindestens 800 000 Angehörige der Tutsi sowie gemässigte Hutu ermordeten – habe das ostafrikanische Land hart daran gearbeitet, Ruanda für Ruander und Ausländer sicherzumachen, so Makolo. Das Land habe seitdem bereits 130 000 Flüchtlinge aufgenommen und arbeite beispielsweise mit dem der UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zusammen, um in Libyen festsitzende Migranten einen sicheren Aufenthaltsort zu bieten.
(text:sda/symbolbild:unsplash)