19 April 2022

Berner Kantonsparlament: Alle Debatten 1831–1999 digitalisiert

Seit bald 200 Jahren diskutiert der Grosse Rat des Kantons Bern über politische Fragen und setzt neue Gesetze in Kraft. Die Debatten wurden seit 1832 im Tagblatt des Grossen Rates des Kantons Bern gedruckt und publiziert. Die Universitätsbibliothek Bern hat sämtliche Bände digitalisiert und auf der Plattform eperiodica öffentlich zugänglich gemacht.

Die Universitätsbibliothek Bern hat die Bände des Tagblatt des Grossen Rates des Kantons Bern von 1831 bis 1999 digitalisiert und sie auf der Plattform eperiodica vor Kurzem öffentlich zugänglich gemacht. Ab dem Jahr 2000 sind die Protokolle auf der Website des Grossen Rates aufgeschaltet. Die insgesamt 200000 Seiten lassen sich nach Datum und Stichworten durchsuchen.

«Das Tagblatt des Grossen Rates des Kantons Bern liefert einen Einblick in die wichtigsten gesellschaftlichen Themen, welche die Berner Bevölkerung seit 1831 beschäftigten», betont Christian Lüthi. Er ist selbst Historiker, Vizedirektor der Universitätsbibliothek und verantwortlich für DigiBern, dem OnlinePortal für digitalisierte Publikationen zu Stadt und Kanton Bern. Wer eintaucht und nachforscht, wird mit zahlreichen Entdeckungen belohnt, zum Beispiel:

Die Regierung schützt 1905 Streikbrecher in Thun

Ende 1905 streikten in der Buntmetallfabrik Selve in Thun 600 Arbeiter. Sie forderten von der Firma höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Gegen 1000 Arbeiter und Zugewandte zogen in einem Demonstrationszug durch die Stadt. Ende Dezember kam es zu einer Einigung: Die Selve gewährte eine Lohnerhöhung, kürzere Arbeitszeiten und versprach eine Betriebskrankenkasse einzuführen. Die deutsche Werksleitung wurde zudem entlassen und durch eine einheimische ersetzt. 1906 diskutierte der Grosse Rat über dieses Ereignis, da der Regierungsrat an Weihnachten 1905 mit einer Verordnung Streikbrecher in der Selve mit einem Polizeieinsatz geschützt hatte. (TGR 1906, S. 364373).

Massnahmen gegen nationalsozialistische Propaganda 1938

Der sozialdemokratische Bieler Grossrat Emil Brändli forderte im Juni 1938 in einer Motion, der Regierungsrat solle Massnahmen gegen die nationalsozialistische Propaganda ergreifen. Er befürchtete, dass die Schweiz wie Österreich und die Tschechoslowakei von Nazideutschland besetzt werden könnte. Der freisinnige Polizeidirektor Arnold Seematter antwortete, die bestehenden Gesetze würden zur Abwehr von Propaganda genügen. Er wollte sich aber beim Bund für die strenge Durchsetzung einsetzen. Zudem forderte er die Bevölkerung auf, sich geschlossen hinter die Behörden zu stellen. (TGR 1938, S. 241, 527544).

Trauertag am Freudenbergerplatz 1973

Bei der Eröffnung der neuen Autobahn über den Freudenbergerplatz in der Stadt Bern diskutierte der Grosse Rat im Mai 1973 eine Interpellation zur Linienführung der Autobahnen rund um die Stadt Bern. Die Eröffnung wurde als «Trauertag für die Bevölkerung» bezeichnet, weil viele Wohnungen angesichts des Verkehrslärms nicht mehr bewohnbar seien. Der Baudirektor räumte ein, es handle sich hier um «Planungsfehler» aus den 1950erJahren. (TGR 1973, S. 145146, 152, 323326).

Auf dem Weg zur OnlineAusgabe gedruckter Publikationen sind mehrere Schritte zu absolvieren. Zuerst werden die Originalseiten gescannt und Bilddateien erzeugt. Die Dateien im TiffFormat werden bearbeitet: sie werden entzerrt, geradegerückt, geschärft und Schmutz wird digital entfernt. Dann werden die digitalisierten Bände in Einheiten strukturiert und mit TitelMetadaten erschlossen. Anschliessend werden die erkannten Elemente mit einer Texterkennungssoftware in Volltexte umgewandelt. In sämtlichen Textdaten kann man schliesslich recherchieren. Der Volltext hat in der Regel eine Genauigkeit von etwa 99 Prozent bezogen auf das Original. Etwa ein Prozent aller Buchstaben wird also nicht richtig erkannt. Trotzdem ist die Trefferquote bei der Suche sehr hoch, weil wichtige Wörter oft mehrfach in einem Text vorkommen und deshalb meist mindestens einmal richtig erkannt wurden.

Die Digitalisierung wurde in Zusammenarbeit mit den Parlamentsdiensten des Kantons Bern realisiert. «200 Jahre Bernischer Grosser Rat sind nun digital aufbereitet: Politik und Geschichte von der liberalen Revolution 1831 bis zum heutigen Ratsgeschehen werden damit zugänglich gemacht!», freut sich Patrick Trees, Generalsekretär des Grossen Rates.

(text:pd/bild:zvg/unibe)