26 August 2021

Viele Tote bei Anschlag in Kabul – Auch mehrere US-Soldaten getötet

Bei zwei SprengstoffanschlĂ€gen in der afghanischen Hauptstadt Kabul sind nach Angaben der militant-islamistischen Taliban mindestens 13 Menschen getötet und mehr als 50 weitere verletzt worden. Auch mehrere US-Soldaten wurden getötet und weitere verletzt, wie das Pentagon am Donnerstagabend mitteilte. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem oder mehreren SelbstmordattentĂ€tern und verurteilte die Bluttat als „absolut niedertrĂ€chtig“. Die deutsche Luftwaffe flog unterdessen alle Bundeswehrsoldaten, Diplomaten und verbliebenen Polizisten aus dem Krisenstaat aus, wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach dem Start der letzten Maschine sagte.

Die genaue Zahl der Anschlagsopfer blieb zunĂ€chst offen. Auf Videos waren zahlreiche Tote zu sehen; es wurde daher befĂŒrchtet, dass die Zahl der Opfer noch deutlich steigt. Pentagonsprecher John Kirby sprach auf Twitter von einer „komplexen Attacke“. Merkel sagte, Terroristen hĂ€tten es auf Menschen abgesehen, die vor den Flughafentoren gewartet haben. Aussenminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Wir haben zurzeit keine Informationen ĂŒber deutsche Opfer.“

Der Sprecher des politischen BĂŒros der Taliban in Doha, Suhail Schahin, erklĂ€rte, man verurteile den grausamen Vorfall aufs SchĂ€rfste und werde alles unternehmen, um die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen. Er bestĂ€tigte, dass sich zwei Explosionen ereigneten. Eine fand ersten Informationen zufolge an einem der Flughafentore statt, eine weitere bei einem nahe gelegen Hotel.

Der lokale Fernsehsender Tolo-News veröffentlichte auf Twitter Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Verletzte in Schubkarren transportiert werden. Ein Augenzeuge erzĂ€hlte dem TV-Sender, die Explosion sei sehr stark gewesen. Manche Menschen seien ins Wasser gefallen – an einem Gate ist ein langer Wassergraben – und mehrere auslĂ€ndische Soldaten seien zu Boden gefallen.

Der gut vernetzte afghanische Journalist Bilal Sarwari schrieb auf Twitter, ein SelbstmordattentÀter habe sich in einer grossen Menschenmenge in die Luft gesprengt. Mindestens ein weiterer Angreifer habe danach das Feuer eröffnet. Sarwari berief sich auf mehrere Augenzeugen in dem Gebiet.

Die Sicherheitslage rund um den Flughafen hatte sich zuletzt noch einmal deutlich zugespitzt. Die Bundeswehr hatte bereits am Dienstag berichtet, das zunehmend potenzielle SelbstmordattentĂ€ter der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Kabul unterwegs seien. Ähnlich hatte sich US-PrĂ€sident Joe Biden geĂ€ussert. Praktisch tĂ€glich versuche ein örtlicher Ableger des IS, den Flughafen anzugreifen, hatte er erklĂ€rt. Die Terrormiliz sei auch ein „erklĂ€rter Feind“ der Taliban. Biden begrĂŒndete unter anderem mit dieser Terrorgefahr auch sein Festhalten an dem Plan, die US-Truppen bis zum 31. August aus Afghanistan abzuziehen.

Seit der MachtĂŒbernahme der Taliban versuchen Tausende Menschen, aus Angst vor Repressionen ins Ausland zu fliehen. Seit mehr als einer Woche versammeln sie sich rund um verschiedene EingĂ€nge des Flughafens, um auf einen Evakuierungsflug zu kommen. Dabei herrschten rund um den Flughafen dramatische ZustĂ€nde. Der Andrang stieg dabei noch einmal, wie ein Augenzeuge der Deutschen-Presse Agentur berichtete. Die Menschen stĂŒnden an einem Tor „so eng aneinander wie Ziegel einer Mauer“, es gehe keinen Meter voran.

Nach der Explosion setzten US-Soldaten an einem anderen Flughafentor TrÀnengas ein, um die Menschen auseinander zu treiben, sagte ein Bewohner Kabuls, der an diesem Gate war. Er schÀtzte, zu dem Zeitpunkt seien dort 2000 bis 4000 Menschen gewesen, die auf einen Evakuierungsflug ins Ausland warteten. Mehrere Frauen und MÀdchen seien durch das TrÀnengas verletzt worden.

Einige internationale Partner hatten die USA zu einer VerlĂ€ngerung des Einsatzes aufgefordert, um noch mehr Zeit fĂŒr die Evakuierungen zu haben. Der MilitĂ€reinsatz ist von den US-Truppen abhĂ€ngig. Taliban-KĂ€mpfer sollen an ihren Kontrollstellen im Umfeld des Flughafens bereits mehrere AttentĂ€ter des IS abgefangen und getötet haben, hiess es aus MilitĂ€rkreisen.

Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn sagte am Donnerstag, dass die Bundeswehr seit Beginn des Einsatzes am 16. August 5200 Menschen aus 45 Nationen ausgeflogen habe. Darunter seien 4200 Afghanen und 505 deutsche StaatsbĂŒrger.

Kramp-Karrenbauer und auch Merkel betonten, dass die Bundesregierung weiter versuchen werde, schutzbedĂŒrftigen Menschen die Ausreise zu ermöglichen. „Wir beenden die LuftbrĂŒcke mit dem heutigen Tag“, sagte Merkel. „Wir sind mit Hochdruck und Nachdruck dabei, eben Bedingungen auszuhandeln mit den Taliban darĂŒber, wie weitere Ausreisen auch möglich sein werden.“

Die militĂ€rische Evakuierung sei nun beendet, die Arbeit gehe aber so lange weiter, bis alle in Sicherheit seien, „fĂŒr die wir in Afghanistan Verantwortung tragen“, sagte Aussenminister Maas. Mit den noch in Afghanistan verbliebenen Deutschen bleibe man weiter in Kontakt und arbeite daran, „sie mit einer organisierten Ausreise zu unterstĂŒtzen“. Maas machte aber auch klar, dass man sich weiter darum kĂŒmmern werde, dass Afghanen das Land verlassen können. Die Botschaften in den Nachbarstaaten hĂ€tten die Anweisung, allen ehemaligen Mitarbeiten von Bundeswehr und Bundesministerien, die bereits eine Aufnahmegenehmigung haben, Einreisepapiere zu erteilen.

Angesichts der chaotischen Situation und angespannten Sicherheitslage in Afghanistan lud UN-GeneralsekretĂ€r AntĂłnio Guterres die VetomĂ€chte zu einem Krisentreffen ein. Diplomatenkreisen zufolge sollen die Botschafter der USA, Chinas, Russlands, Grossbritanniens und Frankreichs am Montag in New York mit dem UN-Chef zusammenkommen, um sich ĂŒber die Lage auszutauschen.

Unter anderem Belgien, DĂ€nemark, Polen und Kanada stellten ebenso wie Deutschland ihre Evakuierungen inzwischen ein, Frankreich plante das fĂŒr Freitag. Das US-MilitĂ€r flog binnen 24 Stunden erneut mehr als 13 000 Menschen aus. Nach Angaben des Weissen Hauses flogen die USA und ihre Partner mehr als 95 000 Menschen aus. Auf dem US-LuftwaffenstĂŒtzpunkt im pfĂ€lzischen Ramstein landeten dabei bis Donnerstag mehr als 14 500 Evakuierte.

Kanzlerin Angela Merkel sagte ihre fĂŒr Samstag bis Montag geplante Reise nach Israel wegen der dramatischen Entwicklung in Afghanistan ab. Die Entscheidung sei in Absprache mit dem israelischen MinisterprĂ€sidenten Naftali Bennet getroffen worden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Unterdessen brechen immer mehr Afghanen in Richtung Pakistan auf. TĂ€glich ĂŒberquerten mindestens 10 000 Afghanen die Grenze bei Spin Boldak/Chaman, sagte ein Grenzbeamter der dpa. Zuvor seien es an normalen Tagen etwa 4000 gewesen. Die meisten seien auf dem Weg zu Verwandten in StĂ€dten und Regionen unweit der Grenze. Pakistan hat seit 40 Jahren Millionen afghanische FlĂŒchtlinge aufgenommen. Aktuell sind es 1,4 Millionen Afghanen, die als FlĂŒchtlinge offiziell registriert sind, und etwa 600 000 undokumentierte Afghanen.

Auch die BalkanlĂ€nder Albanien und Kosovo erklĂ€rten ihre Bereitschaft, insgesamt etwa 6000 Menschen zumindest vorĂŒbergehend aufzunehmen. Die EU-Innenminister wollen kommenden Dienstag zur Lage in Afghanistan beraten. Dabei soll es auch um Migrationsbewegungen in Richtung Europa gehen.

(text:sda/bild:keystone)