16 Februar 2022

US-Präsident: Russischer Angriff auf Ukraine noch immer möglich

US-Präsident Joe Biden hält die befürchtete russische Invasion in der Ukraine weiter für möglich – trotz jüngster Entspannungssignale aus Moskau. Zu Meldungen der russischen Regierung, einige Militäreinheiten zögen von der ukrainischen Grenze ab, sagte Biden am Dienstag (Ortszeit) in Washington: „Das wäre gut, aber wir haben das noch nicht verifiziert.“ Ein Einmarsch sei noch immer eine klare Möglichkeit. Falls Russland sich für den Weg der Gewalt entscheide, würden die USA schnell und entschlossen handeln, drohte Biden in Richtung Kreml.

Russland hatte zuvor überraschend ein Zeichen der Entspannung gesetzt und einen teilweisen Truppenabzug angekündigt. Bei einem Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz in Moskau erklärte Präsident Wladimir Putin, Russland wolle keinen neuen Krieg in Europa.

Die USA befürchten, dass der Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der Grenze der Vorbereitung eines Krieges dient. Russland weist das zurück.

Ähnlich wie Scholz in Moskau warb auch Biden erneut für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt. „Wir sollten Diplomatie jede Chance auf Erfolg geben“, sagte er. „Die Vereinigten Staaten und die Nato stellen keine Bedrohung für Russland dar. Die Ukraine bedroht Russland nicht.“ Die USA versuchten auch nicht, Russland zu destabilisieren. Auch an die Bürgerinnen und Bürger Russlands richtete Biden eine Botschaft: „Sie sind nicht unser Feind.“ Man suche keine direkte Konfrontation mit Russland.

Biden zufolge hat Russland mittlerweile mehr 150 000 Soldaten unweit der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Ein Einmarsch in die Ukraine bleibe also durchaus möglich. „Deshalb habe ich mehrfach darum gebeten, dass alle Amerikaner in der Ukraine jetzt abreisen, bevor es zu spät ist“, sagte der US-Präsident. Die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, betonte, dass ein tatsächlicher Teilrückzug der russischen Truppen ein positives Signal wäre. Aber gerade mit Blick auf Russlands „Geschichte von Operationen unter falscher Flagge und Fehlinformationen“ müsse man das nun erst einmal nachprüfen, sagte sie.

Ähnlich vorsichtig wie Biden hatte sich auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum angekündigten teilweisen russischen Truppenabzug geäussert. „Bislang haben wir vor Ort keine Deeskalation gesehen, keine Anzeichen einer reduzierten russischen Militärpräsenz an den Grenzen zur Ukraine“, sagte er.

Die Verteidigungsminister der 30 Nato-Staaten beraten an diesem Mittwoch in Brüssel über Planungen für eine zusätzliche Abschreckung Russlands. Angesichts des russischen Truppenaufmarsches sollen so auch in südöstlich der Ukraine gelegenen Nato-Ländern wie Rumänien multinationale Kampftruppen stationiert werden.

Biden bekräftigte erneut das Aus für die umstrittene deutsch- russische Gaspipeline Nord Stream 2, sollte Russland in die Ukraine einmarschieren. Aus der Pipeline werde dann nichts, sagte er. Die fertig gebaute Leitung soll unter Umgehung der Ukraine russisches Gas nach Deutschland bringen. Die USA sind seit jeher Gegner der Pipeline.

Biden drohte Russland insgesamt erneut mit „gewaltigen Sanktionen“ im Fall eines Einmarschs. Dies würde sich für Russland als „selbst zugefügte Wunde“ erweisen. Die Welt werde das nicht vergessen.

Die USA hatten erst am Montag angekündigt, wegen der zugespitzten Lage ihre Botschaftsgeschäfte in der Ukraine von Kiew nach Lwiw (Lemberg) unweit der Grenze Polens zu verlegen. Die US-Regierung hatte zuletzt mehrfach davor gewarnt, dass Russland möglicherweise noch vor dem Ende der Olympischen Winterspiele am 20. Februar das Nachbarland angreifen könnte und betont, dass ein solcher Angriff ohne Vorwarnung geschehen könnte.

Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow wies Warnungen der USA vehement zurück, wonach möglicherweise schon an diesem Mittwoch russische Truppen ins Nachbarland Ukraine einmarschieren würden. „Ich kann, soweit es Russland betrifft, versichern, dass es an diesem Mittwoch keinen Angriff geben wird. Es wird auch in der kommenden Woche keine Eskalation geben, oder in der Woche danach, oder im kommenden Monat“, sagte Tschischow der „Welt“ (Mittwoch). Er fügte hinzu: „Kriege in Europa beginnen selten an einem Mittwoch.“

(text:sda/bild:unsplash)