3 Oktober 2021

Ringen um neue Regierung kommt in Gang – Laschet unter Druck

Eine Woche nach der Bundestagswahl kommt das Ringen um ein neues Regierungsbündnis voll in Gang. Am Sonntag traf die SPD von Kanzlerkandidat Olaf Scholz einzeln mit den Spitzen von FDP und Grünen zusammen, um Chancen einer Ampel-Koalition auszuloten. Nach den jeweils etwas mehr als zweistündigen Gesprächen beschrieben alle Seiten eine sachliche und konstruktive Atmosphäre. „Die SPD ist jetzt bereit für Dreiergespräche“, sagte der Generalsekretär der Sozialdemokraten, Lars Klingbeil. FDP und Grüne dagegen behielten sich eine Bewertung zunächst vor.

Zugleich gab es am Abend eine erste Runde von CDU und CSU mit der FDP. Parallel zu den Sondierungen gerät Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) nach dem Wahldebakel in den eigenen Reihen immer weiter unter Druck. Die FDP rief die Union zur internen Klärungen auf.

Die SPD setzt auf zügige Fortschritte in den Gesprächen für eine Ampel-Regierung. Es solle schnell entschieden werden, wie es weitergehe, sagte Klingbeil. Inhaltlich habe man mit beiden möglichen Partnern über Themen gesprochen, die das Land bewegten. Nach dem Treffen mit der FDP-Spitze nannte er konkret Klimaschutz, Digitalisierung, eine Modernisierung des Staates sowie welt- und europapolitische Fragen.

Man habe sachlich gesprochen „über die grossen Aufgaben unserer Zeit“, sagte auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Grünen-Chef Robert Habeck betonte, der grosse Unterschied zwischen den Gesprächen mit FDP und SPD sei die bisherige Regierungsbeteiligung der SPD. „Wir haben auch bei der SPD eine Bereitschaft gefunden und festgestellt, tatsächlich noch einmal neu zu starten, eine Dynamik zu entfachen, die dann auch die liegengebliebenen Probleme vielleicht lösen kann“, sagte er allerdings.

FDP-Generalsekretär Volker Wissing dagegen betonte am Nachmittag: „Natürlich war auch klar, dass unsere inhaltlichen Positionierungen in wesentlichen Punkten auseinander liegen.“ Dass es diese Klippen gebe, sei aber ja bekannt gewesen. „Klar ist auch, dass wir entschlossen sind, eine Reformregierung zu bilden, die unser Land nach vorne bringt“, betonte er. Eine abschliessende Bewertung der Sondierungen wolle die Partei erst nach den Treffen mit allen Sondierungspartnern abgeben.

Die FDP hatte am Abend zudem einen Termin mit der Union. Grüne und FDP waren in den vergangenen Tagen schon zwei Mal unter sich zu vertraulichen Runden zusammengekommen. Für diesen Dienstag ist ein erstes Treffen von Union und Grünen geplant.

Die SPD war bei der Wahl mit 25,7 Prozent stärkste Kraft geworden. Die Union stürzte auf 24,1 Prozent. Die Grünen legten auf 14,8 Prozent zu, auch die FDP verbesserte sich auf 11,5 Prozent.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir gehen mit grossem Verantwortungsbewusstsein in die Gespräche mit FDP und Grünen.“ Er fügte hinzu: „Wir wollen unseren Beitrag in einem neuen Zukunftsbündnis dazu leisten, dass etwas Neues für unser Land entsteht.“

Wissing betonte, nötig sei eine stabile Regierung. Man gehe mit grossem Ernst in die Gespräche mit der Union. Den Zeitungen der Funke Mediengruppe hatte er zuvor gesagt: „Die Union muss zudem klären, ob sie an einem Strang zieht.“

Die Grünen zeigten sich zuversichtlich, einer künftigen Koalition anzugehören. „Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern massgeblich mitbestimmen“, sagte Habeck am Samstag bei einem Kleinen Parteitag. Baerbock sagte, ihre Partei sei von sieben Millionen Menschen gewählt worden, darunter viele junge Leute. Dies gebe einen Auftrag, als Teil der Regierung für eine wirkliche Erneuerung des Landes zu sorgen. Über einen Koalitionsvertrag und die personelle Aufstellung einer möglichen Regierung sollen die 120 000 Grünen-Mitglieder abstimmen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte sich zuversichtlich, schnell zu guten Ergebnissen zu kommen. „Wir werden uns alle auf Augenhöhe begegnen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der „Welt am Sonntag“: „Wir müssen diesmal nicht bis zum Umfallen sondieren, denn wir wollen eine Ampel, in die alle drei Partner ihre Stärken einbringen. So gesehen könnten wir im Oktober mit den formellen Koalitionsverhandlungen beginnen und sie bis Dezember abschliessen.“

Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) unterstützte eine Ampel-Koalition und betonte, seine Partei müsse den Regierungsauftrag für sich in Anspruch nehmen. „Aber natürlich nicht mehr mit Koch und Kellner“, sagte Schröder in seinem Podcast „Die Agenda“ (Samstag) mit Blick auf frühere eigene Äusserungen zum Kräfteverhältnis zwischen der grösseren SPD und den kleineren Grünen. Dieses Wort habe er damals in einer anderen Situation gebraucht, um Ängste vor seiner rot-grünen Regierung von 1998 zu reduzieren. „Inzwischen ist doch klar, dass sowohl die Grünen wie auch die FDP regierungsfähig sind.“

In der CDU wird zugleich immer offener über eine inhaltliche und personelle Neuaufstellung diskutiert. „Dafür muss es einen Bundesparteitag geben, spätestens im Januar“, sagte Parteivize Jens Spahn der „Welt am Sonntag“. „Dass im Wahlkampf Fehler passiert sind und unser Spitzenkandidat nicht richtig gezogen hat, kann niemand leugnen.“ Unabhängig vom Ausgang der Sondierungen müsse klar sein: „Einfach so weitermachen ist keine Option.“

Mehrere CDU-Politiker forderten ein Mitgliedervotum über eine personelle Neuaufstellung, wenn Sondierungen mit FDP und Grünen scheitern sollten. Der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann sagte der „Bild“: „Um die Einbindung der Mitglieder werden wir bei der nächsten Entscheidung über den Vorsitz nicht herumkommen.“ Der Chef der Jungen Union, Tilman Kuban, sagte der „Welt am Sonntag: „In der CDU darf jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleiben.“ Er forderte eine inhaltliche und personelle Neuausrichtung. Es sei „Zeit für junge Köpfe“.

(text:sda/bild:unsplash)