13 April 2021

Proteste gegen US-Polizei nach erneuter Tötung eines Schwarzen

Breonna Taylor, George Floyd – und nun auch Daunte Wright: Die Liste der von der Polizei in den USA getöteten Schwarzen ist erneut lĂ€nger, die Debatte ĂŒber notwendige Konsequenzen noch hitziger geworden. Ihre Schicksale haben zu massiven Protesten gefĂŒhrt und grelles Licht auf das Handeln der Polizei geworfen: Immer wieder kommt es im Umgang der SicherheitskrĂ€fte mit Afroamerikanern und anderen Schwarzen zu Rassismus und Gewalt. „Diese Epidemie der Ungerechtigkeit muss ein Ende haben“, fordert die Vorsitzende des ReprĂ€sentantenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi. Die schwarze VizeprĂ€sidentin Kamala Harris meint: „Daunte Wright sollte noch bei uns sein.“ Das Land brauche Gerechtigkeit. „Dauntes Familie muss wissen, wieso ihr Kind tot ist.“

Am Ort des Geschehens, in Brooklyn Center im Norden der Stadt Minneapolis, kommt es seit dem Tod des 20-JĂ€hrigen in der Nacht zu Dienstag zu teils gewaltsamen Protesten. Auf Plakaten stand unter anderem: „Bin ich der nĂ€chste?“, „Mord, Mord, Mord“ und „Black Lives Matter“ (auf Deutsch etwa: „Schwarze Leben sind wichtig“). Trotz nĂ€chtlicher Ausgangssperre waren Hunderte auf den Strassen. Die Polizei setzte US-Medien zufolge TrĂ€nengas, Gummigeschosse und Blendgranaten ein, um die Proteste aufzulösen. Auch die Nationalgarde war im Einsatz. Rund 40 Menschen seien festgenommen worden, sagte ein Polizeisprecher. Demonstranten hĂ€tten Beamte mit Steinen beworfen und auch Knallkörper eingesetzt.

Der örtliche Polizeichef Tim Gannon und die Beamtin Kim Potter, die am Sonntag auf Wright geschossen hatte, erklĂ€rten am Dienstag ihren RĂŒcktritt, wie BĂŒrgermeister Mike Elliott sagte. Gannon hatte am Montag erklĂ€rt, er gehe davon aus, dass die Polizistin bei der Verkehrskontrolle versehentlich auf Wright geschossen habe. Nach ersten Erkenntnissen habe sie statt eines Elektroschockers (Taser) irrtĂŒmlich ihre Pistole gezogen.

Der Chef der BĂŒrgerrechtsorganisation NAACP, Derrick Johnson, erklĂ€rte jedoch: „Ob es sich um NachlĂ€ssigkeit und FahrlĂ€ssigkeit handelt oder um einen unverhohlenen modernen Lynchmord, das Ergebnis ist das gleiche. Ein weiterer schwarzer Mann ist durch Polizistenhand gestorben.“ Einer Datenbank der „Washington Post“ zufolge wurden allein im vergangenen Jahr 243 Schwarze von der Polizei erschossen.

Minneapolis war bereits vor knapp einem Jahr von heftigen Protesten erschĂŒttert worden. Auslöser war die Tötung des Afroamerikaners Floyd bei einem Polizeieinsatz am 25. Mai. Mitten in der Pandemie ergriff die Welle der Demonstrationen gegen Rassismus und Polizeigewalt das ganze Land – und wurde zur grössten Protestbewegung seit Jahrzehnten.

In Minneapolis findet derzeit unter massiven Sicherheitsvorkehrungen der Prozess gegen den weissen Ex-Polizisten Derek Chauvin statt. Er muss sich wegen der Tötung Floyds verantworten. Die Erwartungen sind immens. Viele Menschen, wohl auch die meisten Schwarzen, hoffen auf ein Urteil, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen wird – und dagegen, dass SicherheitskrĂ€fte oft straffrei davonzukommen scheinen. Sollte Chauvin freigesprochen werden oder eine geringe Haftstrafe bekommen, dĂŒrfte es erneut zu massiven Protesten kommen.

Chauvin wird vorgeworfen, sein Knie rund neun Minuten lang auf Floyds Hals gepresst zu haben, obwohl dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Dem Polizisten, der danach seinen Job verlor, wird unter anderem Mord zweiten Grades zur Last gelegt, worauf bis zu 40 Jahre Haft stehen.

Der BĂŒrgermeister von Brooklyn Center, Mike Elliott, nannte es „einfach unfassbar“, dass erneut ein Schwarzer durch die Polizei getötet worden sei. „Das hĂ€tte nicht zu einer schlechteren Zeit geschehen können.“

Im Fall der Tötung Wrights zeigte Gannon Aufnahmen der Kameras, die die Polizisten am Körper trugen (Bodycams). Darauf ist zu sehen, wie SicherheitskrĂ€fte Wright Handschellen anlegen wollen. Dabei löst sich Wright aus dem Griff und steigt wieder in sein Auto. Eine Polizistin ruft „Taser, Taser, Taser“, hat aber eine Pistole in ihrer Hand. Aus der Waffe scheint sich ein Schuss zu lösen, bevor Wright davonfĂ€hrt. „Heilige Scheisse, ich habe gerade auf ihn geschossen“, sagt die erschreckt wirkende Polizistin.

Die Beamtin wurde wĂ€hrend der laufenden Untersuchung freigestellt, wie Gannon vor Bekanntgabe der beiden RĂŒcktritte erklĂ€rte. Die Polizisten hĂ€tten den unbewaffneten VerdĂ€chtigen kontrolliert, weil die Zulassung seines Wagens abgelaufen gewesen sei. Bei ÜberprĂŒfung seiner Personalien hĂ€tten sie festgestellt, dass ein Haftbefehl vorliege. Wright sei noch mehrere Blocks gefahren und dann mit einem anderen Fahrzeug zusammengeprallt. Der Autopsie zufolge starb er infolge einer Schussverletzung im Brustbereich.

US-PrĂ€sident Joe Biden erklĂ€rte zu Wrights Tod: „Die Frage ist, ob es ein Unfall oder Absicht war. Das muss noch geklĂ€rt werden.“ Er zeigte VerstĂ€ndnis fĂŒr die Wut der Menschen. „Friedlicher Protest ist verstĂ€ndlich“, sagte Biden. FĂŒr Gewalt gebe es aber „absolut keine Rechtfertigung“. Der Demokrat hat den Kampf gegen den Rassismus zu einem seiner zentralen Anliegen erklĂ€rt. Er wirbt auch fĂŒr die Verabschiedung eines nach George Floyd benannten Gesetzes fĂŒr Polizeireformen, doch die Republikaner im Senat dĂŒrften dabei mauern.

Mehr als 150 Jahre nach Abschaffung der Sklaverei und gut fĂŒnf Jahrzehnte nach der vollen rechtlichen Gleichstellung Schwarzer gibt es beim Thema Rassismus immer noch viel Aufholbedarf. Die strukturelle Benachteiligung der Minderheit, die rund 13 Prozent der Bevölkerung ausmacht, hat viele Facetten: Schwarze leben im Durchschnitt weniger lang, sind weniger gut gebildet und viel Ă€rmer als Weisse. Zudem werden sie viel hĂ€ufiger Opfer von Polizeigewalt.

Erst am Wochenende hatte ein anderer Fall fĂŒr Empörung gesorgt: Ein Video zeigte zwei Polizisten, die bei einer Verkehrskontrolle einen schwarzen Leutnant der US-StreitkrĂ€fte schikanierten. Ein Beamter setzte Reizgas ein. Die Polizei in Windsor in Virginia entliess den Beamten, der Bundesstaat leitete eine Untersuchung ein.

Der Moderator der populĂ€ren US-Fernsehsendung „Daily Show“, der aus SĂŒdafrika stammende Komiker Trevor Noah, brachte am Montagabend die Kritik vieler Schwarzer auf den Punkt: Es sei der Polizei egal, ob man MilitĂ€rangehöriger oder schlicht ein geschĂ€tztes Mitglied der schwarzen Gemeinschaft sei. „Es ist ihnen egal, weil sie wissen, dass sie damit davonkommen. Und bis sich das Ă€ndert, wird es ihnen auch weiter egal sein.“

(text:sda/bild:unsplash)