26 Mai 2021

Kommentare zum gescheiterten Rahmenabkommen

Für die „Berner Zeitung“ ist der Abbruch der Verhandlungen für ein Rahmenabkommen „eine Chance, kein Drama“. Die Schweiz brauche keinen Vertrag der Angst mit der EU. Der Reset der Regierung sei richtig.

„(…) Der Reset war nötig, der Deal wäre unfair gewesen. Ein Abkommen, das den EU-Bürgern einen teuren Zugang in unsere Sozialhilfe gewährt und die Schweiz praktisch in die EU integriert, darf unser Land nicht abschliessen. (…) Der Bundesrat nimmt mit dem Schritt die latente Angst im Land vor Verlust der Souveränität ernst. Niemand will einen Vertrag unterzeichnen, bei dem ein europäisches Gericht einseitig über das Verhältnis zur Schweiz entscheidet. Mit dem Abbruch erspart sich die Regierung eine Blamage in einer Volksabstimmung, was allerdings die ehrlichste Lösung gewesen wäre. (…) Nun besteht die Chance, das Verhältnis zur EU zu entkrampfen. Brüssel mit Reformen und Geld gnädig stimmen, kann hilfreich sein. Aber zuerst brauchts eine innenpolitische Klärung. Die teils tief gespaltenen Parteien und die Wirtschaft müssen nun sagen, was sie wollen und wo sie kompromissbereit sind. Sonst gibts niemals eine belastbare Lösung.“ (…)

Die Online-Informationsplattform watson.ch kommentiert den Abbruch der Verhandlungen mit der EU für ein Rahmenabkommen mit „Blochers grösster Sieg“. Und er habe dafür nicht einmal etwas tun müssen:

„Der Bundesrat beerdigt das Rahmenabkommen und beschädigt planlos und mutwillig das bilaterale Verhältnis mit der EU. Damit ist die Saat aufgegangen, die Christoph Blocher vor bald 30 Jahren gelegt hatte. (…) Zwecks Schadensbegrenzung schickte der Bundesrat die Staatssekretärin und Chefunterhändlerin Livia Leu nach Brüssel. Das ändert nichts daran, dass für die Schweiz eine Reise ins Ungewisse beginnt. (…) Schuld daran ist in erster Linie die eklatante Verhandlungs- und Führungsschwäche des Bundesrats und vor allem der beiden FDP-Aussenminister Didier Burkhalter und Ignazio Cassis. Der introvertierte Neuenburger entzog sich der Verantwortung durch Rücktritt, der geschwätzige Tessiner mobilisierte beim Lohnschutz ungewollt den linken Widerstand.“ (…)

Nach dem Abbruch der Verhandlungen für eine Rahmenabkommen brauche es nun ein grosszügiges Angebot an die EU, kommentierte der Zürcher „Tages-Anzeiger“. Ein Plan B sei dringend nötig:

„(…) dass der Vertrag aus unserer Sicht ausgewogen ist, zeigt sich nur schon daran, dass die EU die Schweiz mit Schikanen unter Druck setzt, damit wir endlich zustimmen, und nicht umgekehrt. Der Druck wird in den nächsten Wochen noch zunehmen, Ursula von der Leyen wird Massnahmen ergreifen, die unangenehm sind. Umso wichtiger ist es, dass der Bundesrat einen Plan B präsentiert, der aufzeigt, wozu die Schweiz bereit ist, um der EU entgegenzukommen. Und der muss grosszügig sein. (…) Die Botschaft muss sein: Wir sind bereit, im Grundsatz das EU-Recht dynamisch zu übernehmen, freiwillig, ohne Vertrag – ausser dort, wo es übergeordnete Landesinteressen betrifft. Daneben braucht es aber Perspektiven für neue Verträge, etwa bei den Themen Strom, Gesundheit und Forschung. Die sind im gegenseitigen Interesse. Das zeigt sich in der Pandemie, und das zeigt sich jeden Tag bei der Durchleitung von Strom Richtung Italien über Schweizer Territorium. (…)“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) schreibt in ihrem Kommentar zum Abbruch der Verhandlungen für eine Rahmenabkommen, damit stosse der Bundesrat die EU vor den Kopf. Vor allem aber bleibe völlig unklar, wie sich die Rolle der Schweiz in Europa und der Welt künftig entwickeln solle:

„(…) Der Bundesrat hat sein Pferdchen Rahmenabkommen mit der EU, kurz auch InstA genannt, in den letzten zweieinhalb Jahren je nach Standpunkt fahrlässig oder vorsätzlich in die Erschöpfung geritten. Er traktierte es, bis immer breitere Kreise an dem armen Tier etwas auszusetzen fanden oder unmögliche Leistungen von ihm forderten. (…) Offensichtlich hat sich der Bundesrat bei seiner Absage an das Rahmenabkommen vor allem davon leiten lassen, was er nicht will. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass es ihm in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung an einer gemeinsamen Vorstellung fehlt, wie sich das Verhältnis der Schweiz zur EU künftig weiterentwickeln sollte. (…) Um die sich abzeichnenden Nachteile wettzumachen, sollte die Schweiz beherzt ein Fitnessprogramm aus eigener Kraft in Angriff nehmen. Fraglich ist allerdings, ob genügend Einsicht und Wille dazu vorhanden sind. Nein-Sagen und Blockieren ist einfacher. Die Schweiz wird aber auch nicht umhinkommen, ihr Verhältnis zur EU und zum Rest der Welt neu zu klären. (…)“

Nach dem Abbruch der Verhandlungen für eine Rahmenabkommen brauche es nun ein grosszügiges Angebot an die EU, kommentierte der Zürcher „Tages-Anzeiger“. Ein Plan B sei dringend nötig:

„(…) dass der Vertrag aus unserer Sicht ausgewogen ist, zeigt sich nur schon daran, dass die EU die Schweiz mit Schikanen unter Druck setzt, damit wir endlich zustimmen, und nicht umgekehrt. Der Druck wird in den nächsten Wochen noch zunehmen, Ursula von der Leyen wird Massnahmen ergreifen, die unangenehm sind. Umso wichtiger ist es, dass der Bundesrat einen Plan B präsentiert, der aufzeigt, wozu die Schweiz bereit ist, um der EU entgegenzukommen. Und der muss grosszügig sein. (…) Die Botschaft muss sein: Wir sind bereit, im Grundsatz das EU-Recht dynamisch zu übernehmen, freiwillig, ohne Vertrag – ausser dort, wo es übergeordnete Landesinteressen betrifft. Daneben braucht es aber Perspektiven für neue Verträge, etwa bei den Themen Strom, Gesundheit und Forschung. Die sind im gegenseitigen Interesse. Das zeigt sich in der Pandemie, und das zeigt sich jeden Tag bei der Durchleitung von Strom Richtung Italien über Schweizer Territorium. (…)“

Die Schweizer Regierung pokere mit dem Abschuss des Rahmenabkommens mit dem wichtigsten Wirtschaftspartner „ausserordentlich hoch“, kommentiert die „Aargauer Zeitung“ den Abbruch der Verhandlungen. Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz stehe auf dem Spiel. Der Entscheid sei unverständlich und riskant:

„(…) Unverständlich, weil eine so zentrale Frage in einer direkten Demokratie nicht abschliessend von einer notorisch zerstrittenen Regierung gefällt werden sollte. Der Bundesrat hätte den Vertragstext zumindest dem Parlament zuleiten können und damit eine breitere demokratische Debatte ermöglicht. Politisch riskant ist der Abbruch, weil die Schweiz nun auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der EU abhängig ist. (…) Bleibt Brüssel pragmatisch und vernünftig, dann könnte sich der Sturm dereinst wieder legen. Natürlich hat auch die EU ein Interesse an guten Beziehungen zu ihrem viertwichtigsten Handelspartner. Ganz ausgeschlossen ist ein solch milder Verlauf nicht. Doch es wäre naiv, die Bedeutung der Schweiz zu überschätzen. Die EU ist für Bern viel wichtiger als umgekehrt. (…) Es deutet im Gegenteil vieles darauf hin, dass die EU ihre Drohungen wahr machen wird. Der bilaterale Weg ist, so wie wir ihn kennen, am Ende. Neue Verträge gibt es keine mehr. Bestehende verlieren Schritt für Schritt an Wert. (…) Das Schicksal der Schweiz wird in Brüssel verhandelt. Ohne Schweizer Beteiligung. Und ohne Schiedsgericht.“

(text:sda/bild:unsplash)