1 September 2021

Interlaken: Justizministerin nimmt die Wirtschaft in die Pflicht

Der erste Tag des Swiss Economic Forum (SEF) in Interlaken BE ist am Mittwoch mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter verlangte von der Wirtschaft in deutlichen Worten mehr Engagement.“Der liberal-demokratische Boden wackelt“, erklärte die Justizministerin als letzte Rednerin des ersten Tages am SEF. Der öffentliche Raum fragmentiere. Damit eine liberale rechtsstaatliche Demokratie funktioniere, müsse auch die Wirtschaft ihre Verantwortung im Staat wahrnehmen, erklärte sie. Die Politik wirke auf die Wirtschaft manchmal „chaotisch“. Sich von der Politik einfach fernzuhalten, sei jedoch nicht richtig. „Es geht darum, dass die Wirtschaft sich aktiv am politischen Leben beteiligt“, sagte die Bundesrätin. Die Wirtschaft sei auch in der Verantwortung. In Zukunft müssten sich Unternehmen vermehrt als „Corporate Citizenships“ verstehen. Also als Unternehmen, die gegenüber der Gesellschaft eine Verantwortung tragen, in sozialer, kultureller Hinsicht und auch was die Umwelt betreffe. Damit eine liberale rechtsstaatliche Demokratie funktioniere, müsse auch die Wirtschaft ihre Verantwortung im Staat wahrnehmen, schloss Keller-Sutter. Die Verantwortung an Verbände zu delegieren, genüge nicht. Die Wirtschaft müsse in Zukunft eine aktivere Rolle spielen in der Gesellschaft.

Von Verantwortung sprach auch Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani-Sadriu. In ihrer Rede reagierte sie auf Negativschlagzeilen der letzten Tage. Viele in der Schweiz lebende Kosovaren waren im Sommer in die Heimat gereist und hatten sich dort mit dem Coronavirus angesteckt. In ihrer Rede in Interlaken rief Osmani-Sadriu die Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz deshalb auf, sich impfen zu lassen. „Alle müssen ihre Verantwortung in der Pandemie wahrnehmen“, erklärte sie.

Der britische Wirtschaftshistorikers Niall Ferguson wies in seiner Rede auf die „katastrophalen Lage“ hin, in der sich die Welt befinde. Corona sei aber nicht die erste globale Seuche – und es werde auch nicht die letzte sein: „Wir müssen uns mit unserem Katastrophenmanagement auseinandersetzen“, sagte Ferguson. Man habe bis heute wenig aus der Geschichte gelernt. Dass diese Pandemie weniger tödlich sei als die Spanische Grippe, habe mit dem wissenschaftlichen Fortschritt zu tun und der schnellen Entwicklung eines Impfstoffes. Auf einer sozialen Ebene zeige die Geschichte, dass Pandemien Gesellschaften teilten. „Wenn man sich die Geschichte der Seuchen anschaut, dann sinkt der soziale Zusammenhalt, wenn Seuchen ausbrechen. Seuchen schaffen Misstrauen.“ Anders gesagt: Seuchen führen dazu, dass der soziale Zusammenhalt sinkt und entsprechend auch der liberal demokratische Staat „wackelt“, wie Keller-Sutter feststellte. Ihre Appell an die Wirtschaft zur zukünftigen Beziehung zwischen dem Staat und der Wirtschaft, hat vielleicht auch etwas damit zu tun.

(text:sda/bild:keystone)