28 Juni 2021

Freispruch für „Berner Amokfahrer“ von 2015

Ein Berner Gericht hat einen Türken freigesprochen, welcher im Herbst 2015 mit seinem Mercedes in eine Gruppe von Kurden fuhr. Das Gericht kam zum Schluss, der Mann habe sich nicht der versuchten eventualvorsätzlichen Tötung schuldig gemacht.

Gerichtspräsident Peter Müller sagte am Montag nach der Urteilsbekanntgabe im Berner Amthaus, der Mann habe sich mit seiner Fahrt zwar rechtswidrig verhalten. Er habe aber nicht schuldhaft gehandelt, weil er sich in einem entschuldbaren Notstand befunden habe.

Der Vorfall ereignete sich am Rand einer bewilligten Kundgebung von Türken respektive einer unbewilligten Gegenkundgebung von Kurden. Damals herrschte in Nordirak Krieg zwischen der türkischen Armee und kurdischen Kämpfern der PKK. Die Wogen gingen auch in der Schweiz hoch.

Der türkische Mercedes-Fahrer geriet zusammen mit einem zweiten türkischen Automobilisten zuerst aus Zufall in eine Gruppe von Kurden. Diese erkannten die Türken an ihrer Kleidung und griffen die Insassen der beiden Autos massiv an. Müller sprach von einer „beispiellosen Gewaltorgie hochaggressiver Personen.“

Der nunmehr freigesprochene Türke wurde erheblich verletzt und blutete stark. Kriechend konnte er sich ins Auto retten und fuhr den Angreifern davon – ein Beifahrer und die Insassen des anderen Autos verblieben in der Gewalt der Kurden.

Unten an der Aare wendete der Türke und fuhr dieselbe Strasse wieder hinauf. Dies, um sich bei der Polizei in Sicherheit zu begeben, so Richter Müller. Ein weiteres Motiv, etwa Rache, erkannte das Gericht nicht. Ein Polizist hatte die beiden Türken hinunter zur Aare geschickt.

Mit einer kaputten Brille und einer zerstörten Windschutzscheibe fuhr der Türke wieder die Schwellenmattstrasse hinauf. Wegen der kaputten Brille betrug in diesem Moment die Sehkraft des Mannes noch fünf Prozent, wie das Gericht ausrechnete. Beim Passieren des zweiten türkischen Autos erfasste der Mercedes mehrere Kurden.

Zwei von ihnen trugen erhebliche Verletzungen davon. So erlitt etwa einer einen Schädel- und einen Schulterblattbruch. Die Bilder von den vom Auto weggeschleuderten Kurden machten damals in den Sozialen Medien die Runde und die Fahrt wurde als „Amokfahrt“ bezeichnet.

Das Gericht hielt dem Türken zugute, dass vor ihm bereits zwei weitere Autos hochfuhren, sein Auto möglicherweise erneut angegriffen wurde und er mit einem Tempo von 30 oder 31 Stundenkilometern fuhr. Dieses Tempo sei in dieser Situation gerade noch akzeptabel, so das Gericht.

Eine Berner Staatsanwältin hatte beim Prozessauftakt am vergangenen Montag ins Feld geführt, der Mann hätte nach seiner Flucht nicht wenden müssen. Wer ungebremst mit 30 bis 50 Kilometern pro Stunde in eine Menschenmenge fahre, nehme schlimme Verletzungen oder gar den Tod von Menschen in Kauf.

Sie beantragte eine achtjährige Freiheitsstrafe. Der Verteidiger des Mannes plädierte für einen Freispruch.

Der angeklagte Türke nahm nicht am Prozess teil. Laut einem Attest ist der 46-jährige IV-Rentner aus der Region Zürich nicht verhandlungsfähig. Der Mann trat aber im März am Prozess gegen einen der Kurden auf, welche ihn angriffen. Damals beschrieb er den Angriff der Kurden als „schlimmste Momente in meinem Leben.“

Die Staatsanwältin sagte nach dem Prozess, ob das Urteil weitergezogen werde, entscheide die Staatsanwaltschaft nach Prüfen des schriftlich vorliegenden Urteils.

(text:sda/bild:unsplash)