12 Januar 2022

„Die Party ist vorbei“: Johnson wegen Gartenfeier unter Druck wie nie

Trotz einer Entschuldigung nach einer Lockdown-Gartenparty in seinem Amtssitz hängt die politische Zukunft des britischen Premierministers Boris Johnson an einem dünneren Faden denn je zuvor. Die Opposition forderte am Mittwoch im Parlament in London lautstark Johnsons Rücktritt. Doch auch aus den eigenen Reihen kamen erste Rufe nach einem Amtsverzicht. Als erster forderte der Chef der schottischen Konservativen, Douglas Ross, offen Johnson zum Rückzug auf. Der Tory-Parlamentarier Roger Gale warf dem 57-Jährigen vor, er habe das Parlament getäuscht.

Wichtig ist für den Premier nun, ob das Gros seiner Konservativen Partei ihn stützt – oder ebenso fallen lässt. Der Premier deutete nun erstmals persönliche Konsequenzen an – falls eine laufende interne Ermittlung zum Schluss kommt, dass in der Downing Street Corona-Regeln gebrochen wurden. Die Stimmung unter den Tories gilt als katastrophal.

„Ich möchte mich entschuldigen“, sagte Johnson zu Beginn seines knapp 45 Minuten dauernden Auftritts im Parlament. Landesweit hätten Millionen Menschen hohe Opfer gebracht. „Ich kenne die Wut, die sie auf mich und die Regierung, die ich führe, empfinden, wenn sie denken, dass in der Downing Street selbst die Regeln von den Leuten, die die Regeln machen, nicht richtig befolgt werden.“

Vorausgegangen waren Berichte über eine Gartenparty in Johnsons Amtssitz am 20. Mai 2020 während des ersten Lockdowns. Der Sender ITV zitierte eine Einladung von Johnsons Büroleiter an etwa 100 Mitarbeiter. „Bringt Euren eigenen Alkohol mit“, hiess es in der Mail.

Johnson räumte nun erstmals ein, an der Veranstaltung teilgenommen zu haben. Doch behauptete er, dass ihm kein Regelbruch aufgefallen sei. „Als ich am 20. Mai 2020 kurz nach 18.00 Uhr in diesen Garten ging, um mich bei Gruppen von Mitarbeitern zu bedanken, bevor ich 25 Minuten später wieder in mein Büro ging, um weiterzuarbeiten, glaubte ich ausdrücklich, dass dies ein Arbeitstreffen war“, sagte Johnson. Rückblickend hätte er aber anders handeln müssen.

Die Opposition reagierte mit Gelächter. Erstmals rief Labour-Chef Keir Starmer den Premier zum Rücktritt auf. Johnson sei ein Mann ohne Scham, sagte der Oppositionsführer. „Die Party ist vorbei, Premierminister“, sagte Starmer. „Die einzige Frage ist nur: Wird ihn die britische Öffentlichkeit rausschmeissen, wird seine Partei ihn rausschmeissen oder wird er das Anständige tun und zurücktreten?“

Die Gartenparty ist nicht die einzige Veranstaltung in der Downing Street, bei der Corona-Regeln gebrochen worden sein sollen. Dabei wusste schon der berühmte Dramatiker Shakespeare: „Erfreulich sind die seltenen Feste nur.“

Die öffentliche Meinung hat sich längst gegen den Premier gedreht. In den sozialen Medien häufte sich schnell der Spott darüber, dass Johnson eine Party selbst dann nicht von einem Arbeitstreffen unterscheiden könne, wenn er selbst dabei sei. Die Airline Ryanair legte dem Premier die Worte „Ich weiss nicht, dass ich auf einer Party bin“ in den Mund und twitterte dazu eine Zeichnung von Johnson mit Partyhut zwischen tanzenden Gästen. Der Satire-Account des in der Downing Street lebenden Katers Larry teilte auf Twitter ein altes Foto von halbnackten, feiernden englischen Fussballstars mit dem zynischen Kommentar „England-Kader geniesst ein Arbeitstreffen“.

Ein Rücktritt Johnsons scheint nun fürs erste vom Tisch, eine Wahl steht planmässig erst 2024 an. Bleibt die Konservative Partei. „Das heutige Eingeständnis mag ihm Zeit gekauft haben“, kommentierte die BBC-Reporterin Laura Kuenssberg. Tatsächlich aber bettele Johnson, seine Partei möge das Resultat der internen Untersuchung abwarten.

Hinter den Kulissen rumort es. Seitdem die Gartenparty publik wurde, erhielt Johnson kaum öffentliche Unterstützung aus den eigenen Reihen. „Dröhnendes Schweigen“ stellte unter anderem Sky-News-Reporterin Beth Rigby fest. Anders als sonst gab es am Mittwoch auch keine Bemerkungen und Buhrufe gegen Starmer oder andere Oppositionspolitiker. Im Gegenteil: Mit Finanzminister Rishi Sunak, der als möglicher Nachfolger Johnsons gilt, fehlte der zweitwichtigste Tory-Politiker auf der Regierungsbank. Er weilte lieber zu Besuch im südwestenglischen Örtchen Ilfracombe.

Mehrere Tory-Abgeordnete berichteten, dass ihre Postfächer von E-Mails wütender Wähler überquellen würden. Um Johnson abzuwählen, müssen ihm 15 Prozent der 360 konservativen Abgeordneten in Briefen ihr Misstrauen ausdrücken. Das macht 54 Parlamentarier. Mittlerweile ist nicht auszuschliessen, dass die notwendige Schwelle erreicht wird.

(text:sda/bild:keystone)