29 November 2021

Aargauer Grünen-Politikerin Irène Kälin ist Nationalratspräsidentin

Die Aargauerin Irène Kälin von der Grünen Partei ist neu die höchste Schweizerin. Sie wurde am Montag zur Präsidentin des Nationalrats gewählt und löst damit den Berner SVP-Politiker Andreas Aebi ab. Kälin unterstellt ihr Präsidialjahr dem Motto Vereinbarkeit – in zweierlei Hinsicht.

Zum Einen will Kälin auf die Vereinbarkeit von Beruf respektive Politik und Familie fokussieren. Diese Vereinbarkeit begleite sie seit ihrem ersten Tag im Parlament, sagte Kälin, die Mutter eines noch kleinen Sohnes ist. Sie kenne es nicht anders, als Vereinbarkeitsprobleme zu haben und diese „so gut wie möglich zu lösen“.

Zudem sei im Rat wohl allen bewusst, dass einige den Spagat zwischen Beruf und Politik – geschweige denn „den Dreiklang von Vereinbarkeit von Politik, Beruf und Familie“ – nur noch „bedingt lebten“, sagte Kälin. Wenn dem Parlament die Vereinbarkeit wichtig sei, seien die Parlamentarierinnen und Parlamentarier jetzt in der Pflicht, die Vereinbarkeit zu stärken.

Zum Anderen will die Grünen-Politikerin auf die Vereinbarkeit von verschiedenen Meinungen fokussieren. „Wir haben eine politische Kultur der Einbindung möglichst aller Meinungen. Wir sind ein Land von Minderheiten, eine Willensnation und eine Vereinbarkeitsdemokratie“, sagte sie. Trotzdem komme sie zum Schluss, dass die Vereinbarkeit von verschiedenen politischen Meinungen und Positionen nicht immer so gut gelinge, wie sie sollte.

„Vereinbarkeit würde hier bedeuten, dass wir Lösungen und Kompromisse ausarbeiten, die die dringenden Probleme unserer Zeit lösen und vor dem Volk Bestand haben“, sagte Kälin. Egal wie sich die Politikerinnen und Politiker positionieren, „ich weiss, dass wir alle das Beste wollen für unser Land“.

„Schaffen wir Kompromisse, welche Zukunft schaffen“, forderte Kälin den Nationalrat auf. Sowohl die Klimakrise als auch die Beziehungskrise bräuchten Lösungen mit Bestand. Auch die „leider immer noch sehr aktuelle Corona-Krise“ bedürfe Lösungen, die alle miteinander tragen, egal „wie gut sie persönlich“ gefallen. Lösungen erfordern, dass „wir zusammenstehen, weil die Krise erfordert, dass das Land zusammensteht“, schloss Kälin.

Irène Kälin ist eine engagierte Linkspolitikerin, die sich im bürgerlichen Kanton durchsetzte. Sie setzt sich ein für eine menschliche Asyl- und Sozialpolitik, für Klimaschutz, für starke Rechte von Arbeitnehmenden sowie für mehr Krippenplätze. Und sie kämpft gegen Atomkraftwerke. Kälin ist studierte Islamwissenschaftlerin und hat einen Master in Religionskulturen.

Die Wahl erfülle sie mit Stolz und Demut zugleich, sagte Kälin in ihrer Rede zudem. „Denn was heute selbstverständlich ist, war für meine Grossmütter noch ein Traum. Wenn überhaupt.“ Vor 50 Jahren seien die ersten Frauen in den Nationalrat gewählt worden. Sie seien die Gesichter einer Demokratie „des tatsächlichen Miteinanders“. Einer Demokratie, „welche die Vielfalt in der Einheit zu leben nicht nur zum Ziel habe, sondern den Worten auch Taten folgen lasse“. „Ein politisches System, das auf Vereinbarkeit baut“, sagte Kälin.

Kälin wurde mit 151 von 166 gültigen Stimmen zur höchsten Schweizerin gewählt. Dank der Stärke der Grünen unter der Bundeshauskuppel steht der Partei gemäss aktuellen Turnusvereinbarungen dieses Amt zum ersten Mal aus eigener Kraft zu, wie Kälin sagte. Das mache sie stolz.

Die Ratspräsidentin leitet die Verhandlungen des Rats, legt im Rahmen der Sessionsplanung des Büros die Tagesordnung fest, leitet das Ratsbüro und vertritt den Rat nach aussen. In der Regel äussern sich Ratspräsidenten und -präsidentinnen nicht zur Sache und stimmen nur dann mit, wenn die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates erforderlich ist. Bei Stimmengleichheit fällt er oder sie den Stichentscheid.

Kälins Vorgänger Andreas Aebi (SVP/BE) war vor einem Jahr mit 178 von 183 gültigen Stimmen gewählt worden. Mit einem langen Applaus wurde er für sein Präsidialjahr gewürdigt.

An die Seite von Kälin wurden Martin Candinas (Mitte/GR) mit 172 von 174 gültigen Stimmen als Vizepräsident und Eric Nussbaumer (SP/BL) mit 145 von 167 gültigen Stimmen als zweiter.

(text:sda/bild:sda)